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Branchentarifvertrag

Der Branchentarifvertrag ist ein Tarifvertrag zwischen einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft, der für einen bestimmten Wirtschaftszweig gilt. Ein solcher Tarifvertrag ist in der Regel auch ein Flächentarifvertrag, d. h. er gilt für alle tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem räumlichen Geltungsbereich (häufig ein Bundesland).

Die meisten Tarifverträge in Deutschland sind Branchentarifverträge. Ein bekanntes Beispiel ist der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Ist ein Unternehmen nicht Mitglied eines tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbandes, muss es diesen Tarifvertrag nicht anwenden. Gelegentlich wurde durch Austritte von Unternehmen aus Arbeitgeberverbänden versucht, sich der Bindung durch den Tarifvertrag zu entziehen (sog. „Flucht aus dem Tarifvertrag“).

Neben den Branchentarifverträgen gibt es Firmentarifverträge: Sie werden zwischen einem einzelnen Unternehmen als Arbeitgeber und einer Gewerkschaft geschlossen. Dabei handelt es sich oft um sogenannte Anerkennungstarifverträge, mit denen ein an sich nicht tarifgebundener Arbeitgeber sich einem Flächentarifvertrag unterwirft, ohne tarifgebundenes Mitglied eines Arbeitgeberverbandes werden zu müssen. Die Anzahl von Firmen- oder Haustarifverträgen hat seit den 90er Jahren zwar deutlich zugenommen. Allerdings spielen sie insgesamt in der deutschen Tariflandschaft eine untergeordnete Rolle.

Branchentarifverträge gibt es in Deutschland für über 250 Wirtschaftszweige, etwa 40 Branchen sind tariflich nicht einheitlich geregelt. Gegen den Branchentarifvertrag wird häufig von Unternehmerseite eingewandt, dass insbesondere bei großflächiger Anwendung kaum der individuellen wirtschaftlichen und personellen Situation jedes einzelnen betroffenen Unternehmens Rechnung getragen werden kann. Damit könne es zu Verzerrungen im Wettbewerb oder zu existenzbedrohenden Situationen für solche Unternehmen in einer Branche kommen, die sich in einer wirtschaftlich besonders angespannten Situation befinden. In jüngster Zeit werden daher in solche Flächentarifverträge zunehmend Öffnungsklauseln aufgenommen, die Abweichungen von Tarifverträgen in Einzelfällen ermöglichen sollen.

Insbesondere von Seiten der Gewerkschaften und Sozialverbände wird für Branchentarifverträge ins Feld geführt, dass diese der Gefahr von Lohndumping wirksam entgegenwirken und damit erst ermöglichen, dass der Wettbewerb nicht zu Lasten der Arbeitnehmer stattfindet.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für den Abschluss von Tarifverträgen ist Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz und das Tarifvertragsgesetz (TVG). Im TVG werden die Tarifvertragsparteien (und damit die Tariffähigkeit) definiert und die Voraussetzungen und Wirkungen des Tarifvertrages festgelegt. Der Begriff des Branchentarifvertrags taucht im TVG nicht auf, es handelt sich nicht um einen Rechtsbegriff. Vielmehr beschreibt er die typische Konstellation des Abschlusses eines Tarifvertrages durch einen Arbeitgeberverband und eine Gewerkschaft für eine ganze Branche.

Für Arbeitgeber im Geltungsbereich eines Branchentarifvertrages kann sich die Frage stellen, inwieweit sie sich der Geltung eines bereits in Kraft befindlichen Branchentarifvertrages durch Austritt aus einem Arbeitgeberverband oder dem Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft (also einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung – sofern die Satzung des Arbeitgeberverbandes dies vorsieht) entziehen können. Dies wird durch § 3 Abs. 3 TVG (Nachbindung) insofern verneint, als der Tarifvertrag auch für den austretenden Arbeitgeber bindend bleibt, bis er durch Zeitablauf, materielle Änderung oder Kündigung tatsächlich endet (vgl. auch Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 1. Juli 2009, 4 AZR 261/08). Ein einzelner Arbeitgeber soll sich, so das BAG, nicht durch einseitige Entscheidung seinen tariflichen Pflichten entziehen können. Einen unzulässigen Eingriff in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz durch diese Vorschrift oder eine Auslegung im dargestellten Sinne hat das BAG verneint. Bis zu diesem Urteil war umstritten, wann eine Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG angenommen werden kann.

Von der Nachbindung ist die Nachwirkung des Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG zu unterscheiden, die sich an dessen Beendigung anschließen kann. Sofern die Tarifvertragsparteien nichts Abweichendes vereinbart haben, wirkt der Tarifvertrag nach dieser Vorschrift so lange nach, bis eine andere Abmachung getroffen wurde. Technisch werden die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die etwa Arbeitsbedingungen festlegen, mit Beendigung Inhalt der Einzelarbeitsverträge der Arbeitnehmer, allerdings nur derjenigen, die bei Beendigung des Tarifvertrages bereits beschäftigt waren (st.Rspr. des BAG, vgl. BAG Urteil vom 5. August 2009, 10 AZR 1006/08 m.w.N.). Die Änderung der Nachwirkung ist nur durch einen neuen Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder die Änderung des Einzelarbeitsvertrages (bis hin zur Änderungskündigung) möglich.

Von der Nachbindung und Nachwirkung ist die Fortgeltung von Tarifverträgen im Fall eines Betriebsübergangs zu unterscheiden, die nicht aus dem TVG, sondern aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB resultiert und den Erwerber (sofern nicht ein anderer Tarifvertrag anwendbar ist) an die tarifvertraglich festgelegten Rechte und Pflichten bindet, indem diese Inhalt des Einzelarbeitsverhältnisses werden. Erst nach einem Jahr nach dem Übergang kann zum Nachteil des Arbeitnehmers eine Änderung erfolgen.

Im Jahr 2010 hat das BAG den von ihm bisher über Jahrzehnte geprägten Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben. Dieser Grundsatz besagte, dass in einem Betrieb immer nur ein Tarifvertrag Anwendung findet, auch wenn der Arbeitgeber mit mehreren Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen hat und er damit mehrfach tarifgebunden ist. Bisher wurde die Frage, welcher Tarifvertrag auf welches Arbeitsverhältnis im Betrieb anzuwenden ist, nach dem Prinzip der Tarifeinheit aufgelöst, d. h., dass nur ein Tarifvertrag (in der Regel der speziellste) für den gesamten Betrieb gelten könne. Nunmehr können in einem Betrieb für verschiedene Arbeitsverhältnisse unterschiedliche Tarifverträge gelten, wenn der Arbeitgeber mehrfach tarifgebunden ist. Dann gilt je nach Gewerkschaftsmitgliedschaft des jeweiligen Arbeitnehmers der insoweit bindende Tarifvertrag. Durch diese Änderung der Rechtsprechung kann es dazu kommen, dass die Klarheit und Einheitlichkeit, die in einem Wirtschaftszweig durch einen Branchentarifvertrag gewährleistet werden konnte, durch die Tarifpluralität aufgebrochen wird. Es können mehrere „Branchen“-Tarifverträge in ein und demselben Betrieb anwendbar sein, wenn der Arbeitgeber mehrfach tarifgebunden ist. Ebenso können sich Firmen- oder allgemeinverbindliche Tarifverträge neben bestehenden Branchentarifverträgen auf die Beschäftigungs- und Tarifstruktur in einem Unternehmen nebeneinander auswirken. Von Arbeitgeberseite wird dabei kritisch gesehen, dass Spartengewerkschaften, deren Mitglieder besonders betriebswichtige Positionen in Unternehmen einer Branche ausfüllen, dies in zu starkem Maße ausnutzen könnten, um Partikularinteressen durchzusetzen und damit den Betriebsfrieden und die Verlässlichkeit des Tarifsystems für die Unternehmen einer solchen Branche gefährden.